Organisches (l.) und anorganisches Glas (r.) werden für das neue Kompositmaterial kombiniert.

Das Beste aus zwei Materialwelten

Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler entwickeln hybride Glaswerkstoffe
Organisches (l.) und anorganisches Glas (r.) werden für das neue Kompositmaterial kombiniert.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Jena und Cambridge entwickeln hybri­de Glaswerkstoffe mit neuartigen Eigenschaften. Dafür kombinieren sie metallorganische und anorganische Gläser und stellen Kompositgläser her, die schlag- und bruchfest wie Kunststoff und gleichzeitig hart wie Glas sind.


Text: Ute Schönfelder

Verbundstoffe aus organischen und anorganischen Materialien sind in der Natur häufig zu finden. Beispielsweise bestehen Knochen aus dem organischen Strukturprotein Kollagen und dem anorganischen Mineral Apatit. Diese Kombination macht Knochen biegsam und fest zugleich, was durch nur einen Materialtyp allein nicht möglich wäre.

Bei der Herstellung von Hybridmate­rialien mit solchen Eigenschaften ist die Natur der technologischen Mate­rialentwicklung allerdings noch weit überlegen; ähnlich funktionale Hybrid­materialien künstlich herzustellen, ist noch immer eine große Herausforde­rung. Forschenden der Universitäten Jena und Cambridge ist es nun jedoch gelungen, eine neue Klasse hybrider Glaswerkstoffe herzustellen, die eben­falls organische und anorganische Komponenten vereint und den Werk­stoffen ganz besondere mechanische Eigenschaften verleiht. Sie nutzen dafür Materialkombinationen, in denen me­tallorganische und anorganische Gläser chemisch verbunden sind. Seine Arbeit hat das Forschungsteam im renommier­ten Fachmagazin »Nature Communica­tions« vorgestellt.

Metallorganisches Netz als Grundgerüst des neuen Materials

Werkstoffe aus metallorganischen Netz­werken, sogenannte MOF-Materialien (engl.: metal-organic frameworks), er­ fahren seit einigen Jahren ein stark stei­gendes Forschungsinteresse. Sie können beispielsweise als Trennmembranen oder Speicher für Gase und Flüssigkei­ten, als Träger für Katalysatoren oder für elektrische Energiespeicher einge­setzt werden.

Der Vorteil der MOF-Materialien liegt darin, dass ihre Gitterstruktur bis in den Größenbereich einiger Nanometer hin­ein genau eingestellt werden kann. Da­durch kann zum Beispiel eine Porosität erreicht werden, die sowohl bezüglich der Größe der Poren und ihrer Durch­strömbarkeit als auch hinsichtlich der an den Porenoberflächen vorherrschen­den chemischen Eigenschaften an eine Vielzahl von Anwendungen angepasst werden kann.

»Das chemische Design von MOF-Ma­terialien folgt einem Baukastenprinzip, nach dem anorganische Teilchen über organische Moleküle miteinander zu einem dreidimensionalen Netzwerk verbunden werden«, erläutert Louis Longley von der Universität Cambrid­ge. Daraus ergibt sich eine große Viel­falt möglicher Strukturen, so der briti­sche Forscher. Einige dieser Strukturen könnten durch Temperaturbehandlung in einen glasigen Zustand überführt werden. »Während klassische MOF-Ma­terialien typischerweise in Pulverform vorliegen, ermöglicht der Glaszustand vielfältige Verarbeitungsformen des Materials.«

»Indem wir MOF-abgeleitete Gläser mit klassischen, anorganischen Glas­werkstoffen kombinieren, können wir das Beste beider Welten miteinander verbinden«, sagt Courtney Calahoo von der Universität Jena.

Chemische Verbindung mit anorgani­schem Glas bringt neue Eigenschaften

Solche Kompositgläser weisen deutlich verbesserte mechanische Eigenschaf­ten auf als bisherige Gläser, da sie die Schlagfestigkeit und Bruchzähigkeit von Kunststoffen mit der hohen Härte und Steifigkeit anorganischer Gläser verbinden.

Entscheidend dafür ist, dass die be­teiligten Materialien nicht einfach nur miteinander gemischt werden, sondern dass im Kontaktbereich zwischen dem metallorganischen Netzwerk und dem herkömmlichen Glas echte chemische Bindungen ausbilden. »Nur auf diese Weise können wirklich neue Eigen­schaften entstehen, zum Beispiel in der elektrischen Leitfähigkeit oder der me­chanischen Widerstandsfähigkeit«, er­gänzt der Jenaer Glaschemiker Prof. Dr.- Ing. Lothar Wondraczek, der die Studie geleitet hat.

Mit Hilfe eines Kernspinresonanz-Spektrometers ermitteln die Meterialwissenschaftler – hier im Bild Dr. Courtney Calahoo von der Universität Jena – die Bindungsstrukturen des neues Kompositglases.
Mit Hilfe eines Kernspinresonanz-Spektrometers ermitteln die Meterialwissenschaftler – hier im Bild Dr. Courtney Calahoo von der Universität Jena – die Bindungsstrukturen des neues Kompositglases.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)
Information

Original-Publikation:

Metal-organic framework and inorganic glass composites. Nature Communications (2020), DOI: 10.1038/s41467-020-19598-9Externer Link